abrauschen
textbeispiel 1
1
mein vater war ein gartenzwerg, d.h. zwerg ist das falsche wort, aber immerhin, man kann was damit anfangen, er hat den zusatzprovinzen des landes die verkehrswege ausgebaut und daneben die absurdesten geschichten erlebt, er hatte den zusatzheini im bauch sitzen, und so war ihm das essen ein täglicher zwang. die vielen geschichten, die er dabei erzählte, hatten einen guten griff für die realität, sie weiterzuspinnen, ist jetzt an mir kleben geblieben. erlebt habe ich auch eine menge, ebenso ist mir mein hang zum kulinarischen nicht auszutreiben, und wüßte ich, daß mir der kleine zuhörte, hätte ich ihm auch schon eine erzählung nach der anderen aufgetischt, doch hört er mir nicht zu, also bleibt die mistbiene an geschichte auf mir sitzen, daran ist nichts zu ändern.
er würde sich bloß zu mir umdrehen und mir sein flugzeugquartett hinhalten, von hinten, versteht sich: zieh eine! würde er rufen, und ich müßte es tun. oder aber, er würde gar nicht aufsehen aus seiner tätigkeit, eine weile schon glotzt er, die lippen hin- und herschiebend, auf seine karten, die er vor sich ausgebreitet hat. und immer wieder nimmt er mal eine weg und fügt eine neue vom stapel hinzu, starrt einen moment auf die anordnung, bis er mit einer plötzlichen nachlässigkeit das bild zerstört und von neuem beginnt.
anfangen tut es ja immer mit hautkontakt und aufhören tut es dann in wohnungen mit letzten habseligkeiten und grüßen, dazwischen das bißchen generationsunterschied, der wechsel der jahreszeiten, veränderungen der körperlichen fähigkeiten: aufstehen, aufwachsen, gehen lernen, ablaufen und runterkommen auf ein mindestmaß an nachnamen. nur das kindliche gemüt zieht sich durch, quasi wie ein roter faden ist das leben darin aufgespult, wie heißt es doch so richtig: das kerlchen im kopf spuckt gegen die windrichtung, die darin herrscht, und so kann man nie aus dem gleichgewicht geraten. deswegen versichern sich die meisten in was kleinem, schaukeln sich zu einem regelrechten kind auf, auch ich habe nichts anderes gemacht, bzw. habe ihn tatsächlich mitgenommen, den kleinen auf die fahrt. und wie er auf der rückbank liegt, da ist er tatsächlich wieder eingeschlafen, träumt von plastilinmännchen, die ihr trittbrettsicheres grinsen nie verlassen, von papiermaché, das sie aushecken zu einem monster und losschicken gegen den rest der welt, der nicht recht auftauchen will in dieser matschbraunen landschaft, in der auch die sonne nicht hochzukommen scheint, ohnehin nicht aufblasbar das ding. jedenfalls sind wir losgefahren, die ganze chose mit der anwesenheit in dieser stadt geht ja auf keine kuhhaut mehr, habe ich mir gesagt und bin los, quer durch diese links- und rechtslandschaft aus sand und kiefer, durch den ganzen märkischen kurzschluß an gegend eben. und hinter uns läuft berlin weiter ab mit all seinen sachen, die stadt macht ja punkte, wo es nur geht, sie haut auf den lukas, dort steppt der bär und nicht zu kurz, nur diesmal ohne uns.
aber angefangen hat es ja eigentlich damit, daß mir der walkman flöten ging, das war vor einer woche, daß er, kaum sah ich einmal nicht hin, auch schon weggeklaut war, und ich plötzlich haut an haut mit der welt, alles mitanhören mußte, auf einmal der kontakt. das war wie ein zwang, schon alleine der neben mir, und wie er etwas über ein spaßmagazin der anderen art quasselte, das es großzuziehen galt wie eine wohnungstür, die man zuschmeißen kann, und draußen bleibt dann der rest der ganzen meute. da bin ich aufgestanden, wollte zahlen und konnte es schon nicht mehr, ließ aber trotzdem die andern hinten alleine ihre schrei-postkarten vom ende der kunst weiterverteilen. so habe ich mich als sauberes lieschen aus der projektgruppe cic - cybertronic-inner-circle vertschüßt, bin abgerauscht und blieb am tresen hängen, wo zwei rotweingläser weiter ein gespräch begann.
der boden bringt ja mitmenschen mit sich, und hier war schon wieder einer, und was für einer, ein prachtexemplar, ende zwanzig, ungeheuer bebrillt, und ein bißchen bewandert in gegenwart auf alle fälle. man kannte sich vom sehen und tat es jetzt, fand sich nicht direkt unsympatisch, stunde der elektrifizierten fingerspitzen, man rief sie an, und da war sie auch schon. man sollte es ja nicht für möglich halten, durch welche löcher man durchfallen kann, ganz ohne raumanzug, die volle montur, steht man erst wieder da am nächsten morgen:
die sonne schien und ging aufs ganze „noch einmal mit mir!“ glaubte man sie rufen zu hören, denn es war februar, und wie kein zweites mal sahen wir aus, wie wir dastanden am fenster mit unseren frisch verwählten köpfchen waren wir quasi direkt angeschlossen an das nervennetz der stadt, da hatten die finger kontext sozusagen. was früher das gebiet des sendermanns mit seinen warnungen an den häuserwänden, ist ja nun ganz zum bundesgebiet verkommen, in dem nichts als die unangenehme stückzahl der autos zu entdecken ist, sahen wir und sahen es wiederum nicht, denn zarte bestuhlung des herzens war angesagt, und vorne die leinwand, auf der sich menschen aus jahrgängen begegneten, während man hinten doch etwas verängstigt zurückblieb.
„was is’n hier los?“ stellte sich der kleine in dem moment mir vor. „was is’n hier los?“ fragte er also, und war gleich mit dabei. so hatte man sich wie einen taschenspielertrick gegenseitig aus dem ärmel gezogen, ging hineinverschnupft in eine gemeinsame tieferseele und dachte sich was anderes aus.
verkehrt rum läuft es, habe ich ihm gesagt, luftballon, und drinnen ist die welt. nicht aufgespannt, sondern zusammengestaucht. in wirklichkeit schlagen die köpfe zusammen, während die beine voneinander entfernt stehen, und der himmel, sowieso nur ein punkt.
du lügst, sagte der kleine und lief zum fenster, er hatte längst feuer gefangen. und dann ging alles sehr schnell, husch husch, schnell übers bäumchen, schnell durch den busch.
2
ich mußte raus aus dieser stadt, soviel war sicher!
alle reden von berlin, doch was soll das sein. ich meine, wo gibt’s noch sowas. ich für meinen teil behaupte, es gibt kein berlin, es gibt nur neukölln. ich muß es wissen, habe ich mich doch einige zeit herumgetrieben, doch gleich, was ich tat, immer fand ich mich in neukölln wieder. besonders in letzter zeit landete ich nur noch in einem dieser schubladenräume, die stufenlos zu bedienen sind: schreibtisch-bett, das waren die einzigen positionen, die mich dort gefangen hielten. und draußen liegt dann die stadt da wie ein langer bart, eine eins-zu-eins-stadt, wie es immer heißt, nicht kleinzukriegen, immer einen schritt weiter, immer schon auf und davon, da kommt man einfach nicht nach. von meinem fenster aus zu sehen war aber nichts davon, nur das billigleben der tauben im gegenüberhaus, das abgebrannt war vor einem jahr und dessen fenster mit plastikplanen verdeckt keinen einblick gewährten. warmer abriß, hatte die frau unter mir einmal gemeint und war wieder weitergezogen mit ihrem spulwurm an hund durch die gänge und treppenhäuser, um alte katzen aufzuscheuchen oder vergleichbares getier, warum sonst sollte sie sinnlos durch hinterhof und keller streunen und ein lachen loslassen, wie man es nur aus tierfilmen kennt. dabei ist die sicher noch unter 30, kaum zu glauben, kein anstand, wie hier die leute abdrehen, kaum sind sie aus dem einen pflegealter heraußen, stürzen sie sich schon in das nächste hinein. wie oft hatte ich die im jogginganzug vorüberrauschen gesehen, immer ihren hund mit dabei.
ja, dieser stadtteil drückt einen schon kräftig nach unten mit seinen windschiefen omas, die in der karlmarxstr. vor dem tschibo stehen und nicht loskommen von ihm. „die dauerwelle nicht ganz in den toaster gekriegt oder was!“ möchte man ihnen zurufen, doch vorher schon drehen sie sich plötzlich her und sehen einen durch lange augen an, dahinter ist nur haut versteckt, „nur haut, ich weiß“, sagt man sich dann, „die beißt nicht“, sagt man sich dann und geht schnell weiter an den wäschekörben vor den geschäften mit plastikspielzeug, einwegpuppen und zubehör aus grauer vorzeit. alles erste sahne, kann man auf dem schild daneben lesen, alles erste sahne auch das, was sich hinter den glasscheiben abspielt, da kann man das klimpergeld losgehen sehen, den ganzen schrott, den die banken nicht freiwillig nehmen, den kann man hier loswerden. man wird dabei rufen: „ach, hier gibt es ja noch richtiges glühbirnenlicht, und die geschäfte haben noch einen verwandschaftsgrad.“ doch diese anwandlung wird nur einen kurzen moment dauern, dann geht man wieder vorbei an der katzenmusik an häusern, zurück in die wohnung im hinterhaus 2. stock, schließt die tür ab und atmet auf. geht in zimmertemperatur verloren, während man die post öffnet und schon vorsichtshalber zu fluchen beginnt.
die straße ist eben länger, als man denkt, sie ist keine umhängetasche, die man fortwirft, weil sie einem zuviel wird, und dann ist man sie für immer los, nein, immer wieder muß man durch sie durch, und am ende hat nur der anrufbeantworter sein leichtes spiel gehabt. so jedenfalls ging es einen ganzen winter lang, und noch immer war winter und würde es auch bleiben, wie ich gestern unzweifelhaft feststellen konnte, dennoch fielen kleine lichtstreifen die eine wand entlang, als tapete zog sich mein blick darüber: nichts wie raus hier.
aber das dachten sich wohl alle hier, und nur der typ, der einen stock über mir wohnte, dieses i-tüpfelchen des allgemeinen zustands, hatte sein mittel dagegen gefunden. entweder er ließ die countrymusik laufen, oder die flaschen über den boden, immer aber trommelte er mit den fingern gegen ein glas, dann trommelte der flascheninhalt in seinem kopf, das übertrug sich dann auf die wände und ging durchs ganze haus. echoeffekt oder was, fragte ich mich dann einen stock tiefer um vier uhr morgens, die vorstellung nicht aus dem kopf kriegend, daß irgendwo der schalter sein mußte, mit dem man das ganze abstellen konnte.
in diesen tagen ist ja jedes untier vorstellbar geworden, das plötzlich in die stadt einbricht und dasteht hundert meter hoch, die leute heben dann kurz an ihren köpfen, atmen an, und schon wieder ist etwas zur gewohnheit geworden. warum nicht einfach eine plastikplane über das ganze werfen, sich dann umdrehen und weggehen: ja, warum nicht wirklich abhauen? schlug ich also jo an jenem morgen vor, wenn man es sich so recht überlegte, sollte man doch wirklich einfach weg, auch wenn kein historischer moment, sich einfach hineinlegen in ein schnell hingezaubertes genick landschaft, immer die superpritsche im herzen, immer mit dem kopf voll durch den frühling, doch stop!stop!stop! rief er, da bliebe noch die eine frage nach der zeit und die andere nach dem geld -
er hatte recht. kaufen macht spaß, kann man ja schon jedem x-beliebigen tekknoblättchen entnehmen, und heimsuchung ist still sitzen müssen und nachdenken, was nun werden soll, und nichts anderes habe ich getan die letzten wochen. allmorgendlich bin ich in der u-bahn gesessen, allmorgendlich war ich da durchgestiefelt durch die eiseskälte hinüber zur s-bahnstation, wo sie dann alle standen, die ottonormalverbraucher, die robotniks, da schon nichts als die aufgespießten schmetterlinge, die sie eine halbe stunde später wohl alle ohnehin sein würden in ihren büros und lagerhallen. so saß man bemüht auf seinen augenbrauen, ließ sich lieber in die schlagzeilen des kickers oder der bildzeitung verstricken, als den hallelujatypen zuzusehen, die in der station schon ihre hände ausgebreitet hatten und auf einen zugerannt kamen, dabei lachten und irrsinniges zeug redeten. ja, das war ein richtiger malboroaufenthalt in so einer allmorgendlichen u-bahn, nur die härtesten hielten da durch, die meisten stiegen schon in wilmersdorf aus richtung sicherer arbeitsplatz, kaum einer wollte durchfahren mit diesen gestalten bis nach dahlem, wo die faust auf dem auge haust.
denn ein rechtes mumintal ist da gewachsen mit schön viel beispielen für angewandtes leben, wie es in die sonnenbräune eingeht ohne wiederzukehren, an dem stiefelte ich jeden morgen vorbei, bis ich ankam in der rostlaube, bei der studentischen arbeitsvermittlung. dort wartete man in unangenehmer stückzahl, zog auf die schnelle, wenn es hochherkam, eine nummer 38, schiß auf das gesamte losverfahren in der arbeitsbeschaffung, trank noch einen kaffee in der mensa und zog wieder ab. auf dem rückweg konnte man dann schon menschen beim hundeäußerln antreffen, richtung einkauf unterwegs die hausfrauen, die zwischen ihren vorgärten und verbrauchervillen ein bißchen die zwirbeldrüse hochhielten, nachsahen, ob was drunter lag, wenn ja, beim nächsten kerzenlicht sich verschlucken würden, aber selbst dabei aufs durchschnittstempo achteten, ich wußte es auch nicht, mehr schon der kleine, dem jetzt langweilig wurde, denn noch immer stand man am fenster und überlegte, was zu tun sei.
doch sind wir nicht die erbengeneration, fiel mir plötzlich ein, die erbengeneration ohne zweifel, so sagen sie doch alle immer, die erbsengeneration und nichts anderes, ansonsten wird ja dichtgemacht rundum, man kann das sehen, man kann das hören, nur die eltern sind steinreich und wissen noch am rädchen zu drehen, während den jungen nichts übrig bleibt, als des weges zu kollern. - ja, genau! rief der kleine dazwischen, wurde aber mit einem „klappe halten!“ abgefertigt, denn schon war jo dabei, zum telefon zu stürmen: ganz made im speck ist das, was wir jetzt vertreten! - und war schon verschwunden, seine eltern anrufen.
wenn man ein erbe hat, dann braucht man sich nicht vierteilen, man holt es einfach ab, und nichts anderes hatte ich vor, doch kann man unmöglich alleine kommen, quasi mit leeren händen, da muß man schon was mitbringen, irgendein kind beispielsweise, und irgendein kind ist ja auch mit von der partie, nennen wir es wolf jobst siedler, quatsch, nennen wir es jan.
- schorschi.
- nein, jan. jan ist also auch dabei, und ich kann ihm jetzt zusehen, wie er wieder sein flugzeugquartett in alle möglichen richtungen ordnet, wie er plötzlich fragen stellt, von wegen, wann wir denn endlich ankommen und was wir denn dort alles machen würden?
ich könnte ihn einfach mitnehmen, muß ich mir wohl gesagt haben, ich könnte in zusammenhängen mit ihm auftauchen, er könnte direkt mein vater sein, hat er aber darauf bloß gesagt, direkt mein vater, so frech war er, man stelle sich vor.